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Es gibt Städte auf der Welt – ganz besonders im Nahen Osten – die seit Jahrtausenden von Menschen verschiedener Kulturen besiedelt, umkämpft, beherrscht und zerstört werden, um dann wie Phoenix aus der Asche zu neuem Leben zu erwachen. So wie Diyarbakır, die kurdische Metropole im Südosten der Türkei.
Geschichte und Umgebung
Die Altstadt von Diyarbakır ist umgeben von einer 5,5 km langen Mauer – nach der Chinesischen Mauer die längste Wehrmauer ihrer Art, und mit einer Höhe von über acht Metern sogar noch zwei Meter höher! Niemand weiß, wer in welchen Urzeiten den Grundstein für dieses Riesenbauwerk aus dem schwarzem Basalt des nahegelegenen Vulkans Karacadağ gelegt hat. Dass die von der Basaltmauer geschützte Siedlung unter dem Namen Amida eine bedeutende Garnisonsstadt ganz im Osten des Römischen Reiches war, wissen wir immerhin. Als Teil des Byzantinischen Reiches war Amida ein großes christliches Zentrum, später folgten Araber, verschiedene türkische Fürstentümer und schließlich die Osmanen. Noch immer gibt es hier neben uralten Kirchen, die zu Moscheen umgewidmet wurden, armenische, chaldäische und syrisch-orthodoxe Kirchen. Das Stadtbild prägen Kurden, doch leben hier neben den „Kurmandschi“ auch eine große Menge „Zaza“, eine ostanatolische Bevölkerungsgruppe mit eigener Sprache und Kultur.
Phönix aus der Asche
Nach der letzten großen Krise in 2015, als sich in der Altstadt türkische Streitkräfte und kurdische Separatisten Gefechte lieferten, pulsiert mittlerweile wieder das alltägliche Leben. An vielen Straßenecken grillen mobile Kebab-Anbieter frische, mit Kreuzkümmel gewürzte Lammleberspieße – sicherlich das beliebteste Gericht in Diyarbakır. Traditionelle Zuckerbäcker bieten wieder “Kadayif” oder Engelshaar an, ein süßes Gebäck und langjähriger Exportschlager aus Diyarbakır. Viele Restaurant- und Cafébetreiber hatten 2015 der geplagten Altstadt Sur den Rücken gekehrt und sich in der sicheren Neustadt mit ihrer schicken Ausgehmeile 75 Yol angesiedelt, aber es gibt auch mutige Unternehmer, die das jahrtausendealte Stadtzentrum wieder zu einem lebendigen, attraktiven Bezirk machen wollen.
Ich hatte Gelegenheit, mit zweien von ihnen ins Gespräch zu kommen und währenddessen – natürlich – einige Gerichte aus ihren Küchen zu probieren.
Über die ost-anatolische Küche
Eines vorweg: wer auf vegane oder leichte Küche steht, braucht gar nicht erst nach Diyarbakır zu kommen. Hier isst der Mensch Fleisch! Und zwar vom Lamm. Es ist nicht leicht, diesen Geschmack oder Duft mit Worten zu beschreiben. Aber wer einmal Lammfleisch im Südosten der Türkei gegessen hat, weiß, was ich meine: selbst im ungewürzten Zustand duftet es nach Kräutern, ist aromatisch, saftig und zart… unbeschreiblich gut.
Kemikli Evi – Restaurant
Fatih Evsen, ein junger Koch alter Schule, dessen Vater und Großvater bereits im Sur-Viertel Fleischgerichte grillten, kochten und brieten, hat eines der alten, aus Basalt errichteten Herrenhäuser unweit der Hauptstraße Gazi Caddesi restauriert und bietet seit August 2018 in seinem Restaurant Kemikli Evi gute Diyarbakırer Hausmannskost. Auf sage und schreibe drei Etagen für bis zu 250 Personen.
Das Gericht, das seinem Etablissement den Namen gibt – Kemikli (auf deutsch etwa: Fleisch mit Knochen) – ist trotz des einfachen Namens eine Delikatesse, die jeden Tag ausverkauft ist. Ungeklopfte Lammkoteletts ohne Stiel(Rippe) werden auf dem Grill zusammen mit scharfen Paprikas gegart und auf sehr dünnen Fladen serviert. Nur wer mittags gegen 12 oder abends vor 18 Uhr kommt, hat die Chance, eine Portion “Kemikli” zu ergattern.
Natürlich sind auch die anderen Kebabgerichte sehr empfehlenswert. Wie fast überall im Südosten der Türkei verdient das Lammhack, aus dem die Kebabspieße zubereitet werden, tatsächlich diesen Namen, denn es wird von Hand gehackt, wobei zuvor sämtliche Sehnen entfernt werden. So zergehen die scharfen Adana- und die milden Urfa-Kebabs auf der Zunge…
Restaurant Fırın-ci
Fast in Rufweite des “Kemikli Evi”, auf der anderen Seite der Gazi Caddesi, liegt Fırın-ci, ein ebenfalls 2018 eröffnetes Restaurant. Während bei Fatih Evsen Tradition die Hauptrolle spielt, sieht der junge Unternehmer Resul Fidan seine Mission darin, die traditionelle Küche von Diyarbakır neu zu interpretieren.
Schon das Restaurantgebäude passt sehr gut zu diesem Ansatz: es ist ein türkisches Bad – das Hamam des Vahap Ağa – aus dem 16. Jahrhundert, das den Rahmen für ein opulent ausgestattetes Restaurant mit einem mächtigen modernen Kronleuchter bietet, der die gewaltige Kuppel des ehemaligen Eingangsbereiches ausfüllt.
Der ehemalige Springbrunnen genau unter der Kuppel wurde in eine Art goldenen Käfig umgewandelt, in dem große Grünpflanzen wie in einem Gewächshaus wuchern. Im Kreis herum sind Bänke, Tische und Stühle für die Gäste angeordnet. Auch die ehemaligen Ruhe- und Schwitzräume sind jetzt Teil des Restaurants und die ehemaligen Waschnischen eignen sich perfekt als Separee.
Fırın-ci öffnet seine Pforten bereits um 9 Uhr morgens. Der Tag beginnt hier mit meditativer Klaviermusik. Man bestellt sein Frühstück und wenig später biegen sich die Tische unter der Last von mindestens 15 verschiedenen Tellerchen mit süßen und salzigen Delikatessen. Darunter eine Auswahl ostanatolischer Käsesorten, Honig geschleudert oder in der Wabe, hausgemachter Joghurt, im hauseigenen Ofen gebackene Brötchen, Hefefladen, „un kızartması” (in Butter angebratenes Vollkornmehl), Omelett mit „kavurma“ (eine Art Röstfleisch) und und und…
Mittags und abends speist man „à la carte“ – in der Ost-Türkei eher ungewöhnlich. In den herkömmlichen Restaurants zeigt man entweder auf die im Wasserbad warmgehaltenen fertigen Gerichte oder die grillfertigen Fleischspezialitäten, die in einer Glasvitrine ausgestellt werden, oder aber der Kellner spult ein Sprüchlein mit den Gerichten ab, die die Küche hergibt.
Hier gibt es eine reichhaltige Karte und – oh Wunder – die aufgetragenen Gerichte sehen tatsächlich so aus wie auf den ansprechenden Fotos. Wir entscheiden uns für Lamm mit Quitte und ein “Tandır”gericht aus dem Steinofen. Tandır (oder Tandoori) ist eine in der Türkei (wie im ganzen Nahen und Mittleren Osten) weit verbreitete Zubereitungsweise. Das über Stunden bei niedriger Temperatur gegarte Fleisch lässt sich mühelos vom Knochen lösen. Bevor das bestellte Hauptgericht kommt, wird eine kleine Auswahl an Vorspeisen aufgetragen: Hirtensalat, grüner Salat, scharfes Paprikamus, mit Knoblauch angemachter Joghurt und frittierte Köfte im Bulgurmantel, “içli köfte”. Wie passend wäre jetzt ein Glas Wein oder Rakı! Leider ist Alkohol Fehlanzeige. Resul, den wir darauf ansprechen, weist auf die unmittelbare Nachbarschaft zur Großen Moschee hin. Das verstehen wir, gehen aber davon aus, dass auch ohne Moschee eine Schanklizenz, wie in ganz Ostanatolien, schwer zu bekommen gewesen wäre.
Auch ohne Wein genießen wir die gute Küche, vor allem aber das außergewöhnliche Ambiente der historischen Räumlichkeit. Familien, junge Paare, Gruppen von Freunden – jeder Tisch ist besetzt. Die Atmosphäre ist gepflegt, aber nicht versnobt.
Eine große Überraschung zum Schluss ist die Rechnung – pro Kopf bezahlen wir umgerechnet gerade mal 10 Euro! Das ist auch für ostanatolische Verhältnisse günstig. Auf meine Frage, warum er die Preise so niedrig hält, antwortet Resul: „Ich möchte, dass eine Familie mit mittlerem Einkommen wenigstens einmal im Monat in meinem Restaurant zum Essen kommen kann. Die Einwohner von Diyarbakır haben so viel gelitten, ich finde, das haben sie verdient!”