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Das erste Mal kam ich mit gebrochenem Herzen nach Tel Aviv. Den Liebeskummer im Gepäck, besuchte ich eine Freundin, die hergezogen war. Am Flughafen schloss sie mich in die Arme und sagte: „Tel Aviv heilt“. Und sie hatte recht. In dieser Stadt ordnet sich das Leben neu. Vor allem aber: Das Leben schießt einem durch die Adern, man spürt, wie das Herz dieser Stadt mit dem eigenen um die Wette pocht. So verlor ich mein Herz schneller als geplant. An Tel Aviv.
Es gibt Städte, die haben eine fast therapeutische Wirkung. Vielleicht träume ich mich in den vergangenen Wochen deshalb so gerne in die „Weiße Stadt“ am Mittelmeer, deren Schönheit sich nicht jedem Besucher auf den ersten Blick erschließt. An vielen der 4.000 Bauhaus-Gebäude blättert der Putz. Der Berufsverkehr ist laut und stetig. Manche Seitenstraßen sind geradezu verranzt, streunende Katzen sind allgegenwärtig wie Tauben in Venedig. Und die Strandpromenade verdient eigentlich nicht einmal eine Erwähnung: leerstehende Diskotheken, miefige Bars, Fenster, die so dick mit Sandstaub bedeckt sind, dass er als Sichtschutz funktioniert. Trotzdem: Jedes Mal, wenn ich nach Tel Aviv komme – und sei es nur in Gedanken, wie in diesen Minuten – führt mich mein erster Weg zum Strand.
Rund 14 Kilometer erstreckt er sich vom Hafen im Norden bis zum einstigen Fischerort Jaffa im Süden, der längst eingemeindet wurde. Der schmale Streifen, der als einer der schönsten Strände der Welt gilt, trennt Europa und den Nahen Osten.
Auch jetzt gerade, spüre ich die Hochhäuser im Rücken, während der Blick aufs Mittelmeer geht. Dann höre ich den Beat Tel Avis: Aus den Beachbars dringt das Klirren von Gläsern, das Hupen auf der Retsif Herbert Samuel Street vermischt sich mit dem Rauschen der Brandung. Auf Holzschläger knallen Gummibällen, schnell, regelmäßig. Matkot heißt der Volkssport – und für die Israelis ist er weit mehr als nur eine Art Strand-Tennis. Ein Glaube, eine Mission, vor allem: ein harter Kampf. Der Strand ist nicht allein zum Liegen da in dieser Stadt, die keinen Stillstand zulässt. Auf den Wellen reiten Surfer, SUP-Boarder ziehen ihre Bahnen, Liegestütze und Sit-ups werden auf Handtüchern gemacht – Muskeln sind keine Kür, sondern eher Pflicht.
Ein Leben in Tel Aviv bedeutet auch, Gegensätze auszuhalten. Die Stadt ist rummelig, und doch geschieht nichts mit Hast. „Le’at le’at“, sagen die älteren Männer, die auf dem Rothschild Boulevard über ihrer Tasse Kaffes sitzen: immer mit der Ruhe. Das Leben ist zum Genießen da. Und sei es nur im Kleinen bei einem „Café Hafuch“, wie die Israelis ihre Art des Cappuccinos nennen. Stark und mild zugleich ist der Kaffee, den die Kioske in der Innenstadt servieren, ein bisschen wie die Israelis selbst. Wer einmal mit ihnen ins Gespräch kommt, merkt: Sie sind stolz, aber offen für die Welt. Sie verteidigen ihre Meinung, können aber tolerant sein. Und: Sie wissen zu leben. Jetzt, hier genau in dieser Minute.
Sicher, dass Tel Aviv sich im Hier und Jetzt verankert, dazu mögen die angespannte Sicherheitslage beitragen, die Geschichte des Landes und der schwelende Nahost-Konflikt. Es ist aber auch eine innere Einstellung, die sich die Einwohner bewahren. Zur Riesenportion Hummus trinkt man gerne mittags schon ein Bier. Statt stundenlang im Stau zu stehen, sattelt eine ganze Jugendkultur um: Seit fünf Jahren setzen sie auf die elektrischen Tretroller, die seit Sommer 2019 in Deutschland das Straßenbild verändern. Start-ups sind hier nicht allein dazu da, Geld zu verdienen, sondern auch, um etwas zu wagen, um Wissen voranzutreiben. Kunst und Architektur gibt es in ungeahnter Breite, von der skurrilen Schädel-Sammlung Ilana Goors in Jaffa bis zu den renovierten Betonhäusern im Norden, die danach schreien, Preise zu gewinnen.
Auf Bürogebäuden ploppen im Sonnenuntergang Rooftop-Bars auf, die denen in New York in nichts nachstehen. An einem Sonntag kann man die Nacht genauso durchfeiern wie am eigentlichen Ausgehtag Donnerstag. Nur am Freitagabend, wenn der Schabbat anbricht, wird es leiser.
Die Stadt ist nie gesättigt. Tel Aviv erfindet sich stets neu und bleibt dabei doch ganz bei sich. So gilt sie seit ein paar Jahren als sehr schwulenfreundlich. Der südliche Abschnitt des Metsitsim-Strandes jedoch ist ausdrücklich orthodoxen Juden vorbehalten. Männer und Frauen baden hier an unterschiedlichen Tagen. Scherbenviertel wie Florentin oder Neve Tzedek gelten als als hip, in der Garage neben dem Concept Store mit italienischen Designern wird noch per Hand an Kühlschränken geschweißt.
Tel Aviv hat mich gelehrt: Lass los. Alte Vorstellungen, fixe Pläne und das Streben nach morgen. Ein Motto, das in Zeiten von Corona greift, in Wochen, wo sich jeden Tag alles ändern kann. Trotzdem: Leben ist heute. Oder, um es mit dem hebräischen Trinkspruch zu sagen: „Le Chaim!“ Auf das Leben.
TEL AVIV Tipps:
… wo übernachten:
Eine der besten Adressen ist das Carlton Hotel mit großem Dachpool direkt am Strand von Tel Aviv. Die Beachbar bietet den besten Brunch der Stadt. Kultig: Das Cinema Hotel, das einst ein Kino war und dem noch die Atmosphäre alter Filme anhaftet. Hip und günstiger ist das Dave Gordon Hotel im Norden der Stadt – der Strand ist in Laufnähe.
… wo essen:
Tel Aviv ist ein Paradies für Foodies. An jeder Straßenbude gibt es Leckereien. Israelis lieben Fladenbrot mit Dips aus Auberginen oder Roter Beete und ihre frisch gepressten Obstsäfte mit Granatapfel oder Orange. Reinprobieren kann man am besten auf Märkten wie Carmel, Sarona oder Levinsky. Die klassische Brotzeit ist Hummus, zum Beispiel bei „Danny“ in der Olei Zion Street 8 in Jaffa. Danach lohnt sich ein Abstecher in die Bäckerei „Abouelafia“ (Yefet Street 7) für Sesamkringel, Kekse und Tartes. Obacht bei Desserts: Die Israelis mögen es richtig, richtig süß, egal ob bei Dattelkuchen, Baklava oder Malabi. Letzteres ist ein Pudding mit Rosenwasser, Kokos, Pistazie und mehr. Eine vegane Variante bietet „HaMalabiya“ in der Allenby Street 60.
… was anschauen:
In der Altstadt von Jaffa zeigt Tel Aviv seine orientalische Seite: So werden auf dem Flohmarkt Silberschmuck, Pluderhosen und Plunder feil geboten. Schicker geht es im stillgelegten Bahnhof HaTachana zu, der vor allem junge Leute mit seinen witzigen Shops und Restaurants anzieht. Wahrzeichen von Jaffa ist der Glockenturm. Hinter ihm führt ein Weg zum Abrasha-Park. Von hier geht es durch verwinkelte Gassen treppab, vorbei an Galerien und Schmuckläden, bis hinab zum Hafen. Einen kühlen Abstecher bei israelischer Hitze ist das Museum der Mäzenin Ilana Goor. In ihrem Wohnhaus stellt sie Kunst aus aller Welt aus, von kitschigen Plastiken bis zu afrikanischen Masken. Der Dachgarten gibt einen tollen Blick über die Stadt und das Meer frei.